Schlagwortarchiv für: Urgeinkontinenz

Inkontinenz

Viele Frauen scheuen sich davor über Harnverlust zu sprechen. Oft erst nach fünf bis sieben Jahren, mit hohem Verlust der Lebensqualität, entscheiden sich Patientinnen zu einem Erstgespräch zu kommen. Während der Wechseljahre tritt oft auch eine hormonell bedingte Blasenschwäche auf. Die mechanische Belastung des Beckenbodens, wie zum Beispiel durch Geburten, kann auch zu einer Beckenbodenschwäche und in weiterer Folge zu einer Blasenschwäche führen. Allerdings ist das Thema „ungewollter Harnverlust“ ein sehr häufiges. Mehr als die Hälfte der Frauen sind im Laufe ihres Lebens mehr oder weniger von dieser Problematik betroffen.

Sowohl die Beckenbodenmuskulatur als auch das Bindegewebe erschlaffen zunehmend, wodurch die Blase nicht mehr angemessen gestützt wird und demzufolge kann sie absinken. Dadurch krümmt sich die Harnröhre und der Blasenschließmuskel kann auf Dauer dieser zusätzlichen Belastung nicht standhalten, es kommt zu Blasenschwäche und Urinverlust. Die Harnwege reagieren aufgrund des niedrigen Hormonspiegels auch vermehrt empfindlich auf Reizstoffe im Urin, gesteigerter Harndrang entsteht. Die Ursachen für gesteigerten Harndrang – auch Drangharn-Inkontinenz genannt – sind allerdings vielfältig. In den Wechseljahren geht auch die Durchblutung der Blase zurück, wodurch die Anfälligkeit für Infektionen steigt. Leider suchen nur rund die Hälfte aller Betroffenen wegen Harnverlust einen Arzt auf.

Therapeutisch gibt es für Blasenschwäche sehr viele Möglichkeiten. Allem voran steht immer eine gezielte Diagnosefindung. Erst dann ist es möglich eine individualisierte Therapie zu etablieren. Therapiemöglichkeiten sind z. B. gezieltes Beckenbodentraining, Östrogenisierung der Scheide, Toilettentraining, Neuraltherapie sowie auch operative Verfahren, wie eine Bandoperation oder eine Scheidenplastikoperation.

Urogynäkologie

Als Teilbereich der Gynäkologie befasst sich dieser Fachbereich sowohl mit den verschiedenen Formen von Harninkontinenz als auch mit Senkungsbeschwerden von Gebärmutter, Scheide, Harnblase und Enddarm. Das Problem der Harninkontinenz kann in unterschiedlichen Schweregraden auftreten. Blasenschwäche gilt als gesellschaftliches Tabuthema, sogar das Gespräch mit einem Urogynäkologen fällt schwer und ist mit einer sehr hohen Schwellenangst behaftet. Ein weites Spektrum an Therapieformen ermöglicht, dass Betroffenen geholfen werden kann. Nicht in jedem Fall ist eine Operation notwendig.

„Ob beim Husten, beim Lachen oder wenn ich laufe, ich verliere seit einiger Zeit Urin. Was kann ich dagegen tun?“

Dr. Thorsten Graf: „Sehr häufig wird dieses Problem tabuisiert und bei den behandelnden Ärzten nicht angesprochen. Am Anfang wird eine detaillierte Untersuchung in Form einer urodynamischen Durchuntersuchung durchgeführt. Hier sind speziell Ultraschall und auch eine künstliche Blasenfüllung mit genauen Druckmessungen notwendig. Diese spezifische Untersuchung führe ich im Hanusch-Krankenhaus der ÖGK als Leiter der Urogynäkologischen Ambulanz durch. Erst nach einer eingehenden Untersuchung können dann unterschiedliche therapeutische Wege beschritten werden. Zumeist steht am Beginn eine Östrogenisierung der Scheide sowie ein gezieltes Beckenbodentraining. Sollte dies nicht zum Erfolg führen, ist bei einer Stressharn-Inkontinenz eine TVT-Bandoperation angezeigt.“

„Bei mir wurde eine Gebärmuttersenkung festgestellt. Ich möchte mir die Gebärmutter aber nicht entfernen lassen, gibt es eine andere medizinische Möglichkeit?“

Dr. Thorsten Graf: „Eine Möglichkeit ist das Einsetzen eines Pessars. Dies sind Gummiringe oder Gummiwürfel, welche die Gebärmutter in Position halten und in der Scheide getragen werden. Eine zweite Möglichkeit besteht darin, eine Fixation der Gebärmutter in Form einer Bandaufhängung mittels Laparoskopie durchzuführen.“

Gebärmuttersenkung (Descensus)

Sinkt die Gebärmutter in Richtung Scheide, spricht man von Gebärmuttersenkung, die durch eine Überlastung des Beckenbodens entstehen kann aber auch durch Bindegewebsschwäche begünstigt wird. Durch diese Absenkung werden Blase und Harnröhre nicht mehr in ihrer angestammten Position gehalten, sondern auch deren Lage im Körper verändert sich. Schwere körperliche Arbeit, chronischer Husten, Übergewicht oder eine angeborene Schwäche des Bindegewebes, sowie die Menopause begünstigen eine Überbelastung des Beckenbodens. Unkontrollierbarer Harnverlust während des Niesens, Hustens oder bei körperlicher Belastung ist möglich und tritt in vielen Fällen auf. Neben gezielter Beckenbodengymnastik zur Stärkung des Beckenbodens gibt es die Möglichkeit einer Operation, bei der die betroffenen Organe gestrafft und an ihre ursprüngliche Position gebracht werden.

Belastungsinkontinenz / Stressinkontinenz

Unter Belastungsinkontinenz versteht man einen deutlich abgeschwächten Beckenboden sowie einen nicht mehr ausreichend abdichtenden Schließmuskel. Daher kommt es bei jeglicher Druckerhöhung im Bauchraum, wie zum Beispiel bei Husten, Nießen, Heben oder Tragen, zu einem ungewollten Harnverlust. Anfangs zumeist tröpfchenweise, im weiter fortgeschrittenen Stadium auch schwallartig. Diagnostisch steht hier vor allem eine urodynamische Untersuchung, sowie eine spezielle Ultraschalluntersuchung im Vordergrund.

„Ich habe von einer ,urodynamischen Untersuchung‘ gelesen, was ist das genau?“

Dr. Thorsten Graf: „Eine urodynamische Durchuntersuchung ist eine umfassende Abklärung von Harnverlusterkrankungen und Senkungsproblemen. Hier werden einerseits verschiedene Ultraschalluntersuchungen (z.B. Messen des Winkels und der Beweglichkeit der Harnröhre), aber auch, nach Einsetzen eines dünnen Katheters in die Harnröhre und in das Rektum, nach künstlicher Blasenauffüllung, alle Druckverhältnisse gemessen. Auch die Miktionsgeschwindigkeit wird erfasst. Oft ist es zur genauen Diagnosestellung nötig, eine solche Untersuchung durchzuführen, um gezielter behandeln zu können. Schmerzhaft ist die Untersuchung nicht, aber unangenehm, da man längere Zeit auf dem gynäkologischen Stuhl sitzen muss.“

Dranginkontinenz / Overactive-Bladder-Syndrom / Urgeinkontinenz

Unter Dranginkontinenz versteht man einen erhöhten Spannungszustand des Blasenmuskels. Bei der Drangsymptomatik oder auch Drangharninkontinenz kommt es ab einem gewissen Füllungsgrad der Blase zu einer plötzlichen Druckerhöhung in der Blase durch ein reflektorisches Zusammenziehen der Blasenmuskulatur. Hier wird oft der Druck so stark erhöht, dass selbst ein sonst gut funktionierender Schließmuskel nicht ausreichend abdichten kann. Hier steht als Diagnostikum vor allem die Druckmessung im Sinne einer urodynamischen Untersuchung im Vordergrund. Die positive Beeinflussung der Blasenregulation ist unter Zuhilfenahme der Neuraltherapie gut möglich. Dadurch können oft, sonst notwendige, medikamentöse Behandlungen der Dranginkontinenz reduziert oder gar vermieden werden.

„Wie erkenne ich, ob ich an einer Dranginkontinenz leide und was kann ich dagegen tun?“

Dr. Thorsten Graf: „Wenn ein plötzliches Dranggefühl auftaucht und Sie dann nicht rechtzeitig die Toilette erreichen, kann es sich um eine Dranginkontinenz handeln. Ursachen hierfür gibt es verschiedene. Die Therapie der Drangharninkontinenz ist primär medikamentös. Zur Herabsetzung der Blasenspannung kommen Anticholinergika zum Einsatz. Begleitend oder unterstützend kann auch Neuraltherapie und ein Toilettentraining sinnvoll sein. Operative Eingriffe bei reiner Dranginkontinenz sind wenig zielführend

Invasive Behandlungsmethoden

Wird durch eine konservative Therapie kein ausreichender Erfolg erzielt, gibt es die Möglichkeit einer Operation. Operationen kommen meist bei einer Belastungsharninkontinenz zum Einsatz. Minimalinvasiv wird ein künstliches Band eingebracht, das die Harnröhre wie eine Hängematte unterstützt. Invasiv kann die Harnblase vaginal – in Form einer vorderen Plastik – gehoben werden oder auch im Bauchraum befestigt werden. Es kann auch, um eine Senkung zu beheben, ein Netz im Unterleib implantiert werden.

TVT-Band

Kommt es zu ungewolltem Harnabgang, zum Beispiel beim Niesen, Husten oder Lachen, spricht man von einer Belastungsinkontinenz, die durch die Schwächung des Beckenbodens und der Harnröhrenringmuskulatur hervorgerufen wird. Bei der TVT-Operation wird ein Kunststoffband vaginal an der vorderen Vaginalwand eingebracht und oberhalb des Schambeines beidseits ausgeleitet. Dieser Eingriff kann unter örtlicher Betäubung erfolgen (Spinalanästhesie), was den Vorteil hat, dass während der Operation durch Husten der Patientin festgestellt werden kann, wie stark das Band gespannt werden muss, bis kein Urin mehr verloren wird. Grundsätzlich wird das Band allerdings spannungsfrei gelegt und erst vier bis sechs Wochen nach der Operation kann durch das Einnarben des Bandes der Therapieerfolg beurteilt werden.

„Kann es nach einer TVT-Band-Operation zu einer Unverträglichkeit oder zu einer Abstoßung des TVT-Bandes kommen?“

Dr. Thorsten Graf: „Eine Unverträglichkeit oder gar Abstoßung ist äußerst selten. Ich persönlich habe das noch nicht erlebt. Auch ein Durchwandern des Bandes in die Scheide (Banderosion) kommt selten vor. In den allermeisten Fällen wird das Band sehr gut vertragen.“

TVT-O-Band

Wie beim TVT-Band wird auch bei der TVT-O-Operation ein Kunststoffband hinter der Harnröhre platziert. Auch dieses Band wird spannungsfrei gelegt. Der Unterschied zum TVT-Band besteht darin, dass das TVT-O-Band im seitlichen Oberschenkelbereich ausgeleitet wird. Das „O“ steht für Obturator, denn das Band verläuft beiderseits durch das Foramen obturatum, jene große Öffnung im Becken, die von Scham- und Sitzbein gebildet wird. Da das TVT-O-Band anders eingelegt wird, entstehen bei der Operation weniger Risiken, vor allem weniger Risiko für eine Verletzung der Harnblase.

„Werden die Kosten für diese TVT-O-Band-Operation von der Krankenkasse übernommen?“

Dr. Thorsten Graf: „Ja, alle Kosten werden von der gesetzlichen Krankenkasse getragen.“

Bulkamid®-Injektionen

Eine weitere Behandlungsmöglichkeit der Belastungsinkontinenz besteht in der Bulkamid®-Therapie. Diese Methode ist minimalinvasiv. Mit einem speziellen optischen Gerät wird in die Harnröhre eingegangen und in der Mitte der Harnröhre durch Injektion an vier Stellen eine Aufpolsterung der Harnröhre erreicht. Dadurch kann für ein bis zwei Jahre wieder eine Kontinenz hergestellt werden.

„Können bei der Behandlung von Inkontinenz mittels Bulkamid®-Injektion eigentlich Komplikationen auftreten und sind diese Injektionen schmerzhaft?“

Dr. Thorsten Graf: „Ich führe diese Injektionen in Vollnarkose oder in Spinalanästhesie durch. Daher treten keine Schmerzen auf. Komplikationen gibt es fast keine, aber die Kontinenz mittels Bulkamid®-Therapie hält nur beschränkte Zeit an, daher sind Wiederholungen nach ein bis zwei Jahren häufig notwendig.“

Hormonbehandlung – Ovestin®

Harninkontinenz wird oftmals durch einen zu niedrigen Östrogenspiegel verursacht. Dieses weibliche Geschlechtshormon wird durch die Scheidenschleimhaut aufgenommen und wirkt primär lokal. Es vermehrt im Bereich des Gebärmutterhalses und der Harnröhre die elastischen Fasern und führt so zu einer besseren Beckenboden-Spannung. Ovestin® enthält das natürliche Geschlechtshormon Östrogen, es wird lokal angewendet. Es hilft das Hormongleichgewicht im Bereich der Geschlechts- und Harnorgane wiederherzustellen, wodurch auch die Anfälligkeit für Infektionen gemindert wird.

„Muss ich die Hormon-Behandlung mit Ovestin® mein Leben lang fortführen, um nicht an Harninkontinenz zu leiden?“

Dr. Thorsten Graf: „Nein, hier ist nach drei bis sechs Monaten ein Auslassversuch möglich. Auch kann die Dosis von zwei- bis dreimal pro Woche auf einmal pro Woche reduziert werden. Nur in seltenen Fällen ist eine längere Therapiephase nötig.“

Beckenboden

Bei Blasenschwäche empfiehlt es sich immer den Beckenboden zu trainieren und zu kräftigen. Diese Stärkung kann eine eventuelle Gebärmuttersenkung nicht rückgängig machen, jedoch Beschwerden lindern und einem weiteren Absinken vorbeugen. Gezieltes Training verbessert zudem die bewusste Wahrnehmung des Beckenbodens im Alltag und damit verbunden die Reduzierung von Blasenschwäche. Ergänzend können noch Behandlungen wie Biofeedback und Elektrotherapie zur Anwendung kommen. Es gibt Übungen, die leicht in den Tagesablauf integriert werden können, egal ob bei der Arbeit oder beim Anstehen in der Warteschlange. Als erster Schritt ist es allerdings immer notwendig, ein gezieltes Beckenboden-Einzeltraining physiotherapeutisch durchzuführen, da, wie oben erwähnt, durch ein gezieltes Erlernen der Beckenboden-Wahrnehmung die Basis für ein gutes Training geschaffen werden kann.

„Wie schnell spürt man die Wirkung des Beckenboden-Trainings?“

Dr. Thorsten Graf „Bei einem gezielten Beckenbodentraining unter Anleitung einer Physiotherapeutin/eines Physiotherapeuten steht in erster Linie das Wahrnehmungstraining, da viele von uns den Beckenboden nicht mehr gezielt ansteuern können. Dann erst, auf Basis der verbesserten Wahrnehmung, erfolgt das eigentliche Training. Um einen Erfolg einschätzen zu können, sollte man sich zumindest drei Monate Zeit geben.“

Trockene Scheide

Stellen die Eierstöcke langsam die Produktion des Geschlechtshormons Östrogen ein, verringert sich auch die Produktion der Scheidenflüssigkeit. Die Durchblutung erfolgt nicht mehr im gleichen Ausmaß, wie in jungen Jahren, und das Milieu der Scheide verändert sich. Durch diese Veränderungen steigt die Empfänglichkeit für Entzündungen und Infektionen, wodurch Probleme der Blase bis hin zur Harninkontinenz auftreten können. Lokal wirkende Präparate, wie Zäpfchen oder Cremes, die natürliches Östrogen enthalten, helfen ein positives, natürliches Klima annähernd wiederherzustellen und somit die Blasenschwäche einzudämmen.

„Wodurch entsteht diese unangenehme Scheidentrockenheit, das hatte ich doch früher nicht?“

Dr. Thorsten Graf: „Dies ist zumeist durch den Wechsel bedingt. In der Menopause nimmt die Östrogenkonzentration physiologisch ab. Dadurch leiden viele Patientinnen unter Scheidentrockenheit. Hier kann eine gezielte und wohldosierte lokale Östrogentherapie gute Abhilfe schaffen.“